Der eine ist Präsident eines strategischen Clusters für Cybersicherheit und Gründer der Cyberverteidigungseinheit der französischen Streitkräfte. Der andere leitet ein französisches Cybersicherheitsunternehmen, das an vorderster Front mit den Realitäten des Marktes in Europa und international konfrontiert ist. Beide teilen dieselbe Beobachtung: Europäische Cybersicherheitsunternehmen innovieren, schützen, bilden aus, schaffen Arbeitsplätze und tragen aktiv zur globalen digitalen Resilienz und zum nationalen Wohlstand bei. Doch sie kämpfen gegen den Strom.
Während europäische Unternehmen strengere Standards einhalten als ihre nicht-souveränen Wettbewerber, insbesondere amerikanische, als Ausdruck unserer Werte, erhalten sie auf ihrem eigenen Terrain dennoch zu wenig Unterstützung. Es gibt zahlreiche Innovationsförderungen, doch die eigentliche Herausforderung eines Unternehmers besteht darin, Aufträge zu gewinnen, das Geschäft auszubauen und den Umsatz zu steigern.
„Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir, wenn wir nicht handeln, unser Wohlergehen, unsere Umwelt oder unsere Freiheit aufs Spiel setzen müssen“, warnt Mario Draghi in seiner Vorstellung des Berichts über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit.
Dies ist die Realität, der sich die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger stellen müssen: Die aktuellen Dynamiken des Cybersicherheitsmarktes schwächen unsere kollektive Fähigkeit, eine solide digitale Souveränität aufzubauen. Und diese Souveränität erfordert Sicherheit unter eigener Kontrolle, nicht überlassen an Akteure, deren Verhalten zunehmend unvorhersehbar wird, wie seit 2014 und noch deutlicher in jüngster Zeit auf globaler Ebene zu beobachten ist.
Eine solche Kontrolle bildet das Fundament der Resilienz unserer Infrastrukturen, des Schutzes unserer Daten und der Verteidigung unserer strategischen Interessen, zu einer Zeit, in der geopolitische Spannungen diese Themen noch dringlicher machen. Die strategische Autonomie Europas in der Verteidigung erfordert ebenso eine autonome und widerstandsfähige Cyberverteidigung.
Unsere Cybersicherheitsakteure haben Ehrgeiz und Talent, aber sie müssen unter Zwängen innovieren, die andere nicht haben: regulatorische Anforderungen (DSGVO, NIS 2…), Transparenzpflichten, CSR-Vorgaben. Sie agieren mit Strenge und Verantwortung, was zusätzlichen Aufwand erfordert, nur um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Diese Vorschriften bringen positive Fortschritte, doch währenddessen marschieren die amerikanischen Giganten mit voller Geschwindigkeit voran, unterstützt durch ein permissiveres Umfeld, einen geschützten Heimatmarkt, reichlich Kapital sowie enorme Marketing-, Einfluss- und Vertriebskraft. Sie erobern einen großen Teil des europäischen Marktes und profitieren gleichzeitig von Steuervorteilen in mehreren Mitgliedsstaaten und überwältigendem Einfluss.
Wie viele Parlamentarier betonen: Kein technologischer Champion entsteht ohne Unterstützung durch öffentliche Aufträge und eine angepasste Regulierung. Heute jedoch enthalten öffentliche Ausschreibungen nur sehr wenige Kriterien in Bezug auf Souveränität.
Warum nicht auf die digitale Souveränität anwenden, was wir bereits bei Umwelt- oder Sozialkriterien tun? Zusätzliche Punkte für europäische Lösungen, die Forderung nach Datenhosting ausschließlich unter europäischem Recht oder echte DSGVO-Konformität, all dies ist möglich, ohne Leistung oder Wettbewerbsfähigkeit zu opfern.
Datenschutz, ethische KI, resiliente Lieferketten und ökologische Verantwortung sind keine Hindernisse für Innovation, sie sind deren Grundlage für die Zukunft.
Europäische Unternehmen haben sich diesem Weg voll und ganz verschrieben. Sie bauen ein technologisches Modell hoher Standards auf, das mit europäischen Werten und gesellschaftlichen Erwartungen im Einklang steht. Diese Entscheidung verdient Anerkennung, Unterstützung und Förderung.
Oft hört man, amerikanische Lösungen seien weiter entwickelt. Das ist falsch. Sie sind häufig nur besser finanziert, besser präsentiert, besser bewertet, zumeist von überwiegend amerikanischen Rating-Agenturen, was die Wahrnehmung technologischer Überlegenheit verstärkt, ohne sie zu beweisen.
Und doch hält sich dieses Narrativ sogar auf Führungsebene großer Unternehmen. Ein Vorstand eines CAC-40-Konzerns erklärte kürzlich, Europa sei in der Cybersicherheit nicht auf der Höhe der Zeit. Eine solche Rhetorik, zu oft wiederholt, schürt ein ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber unseren eigenen Lösungen, obwohl sie höheren Verantwortungsstandards genügen.
Die Realität ist, dass amerikanische Lösungen von einem reifen Ökosystem profitieren. Viele entstehen aus der Übernahme innovativer Start-ups, die schnell integriert, vermarktet und anerkannt werden. In Europa fehlt diese Konsolidierungsfähigkeit, da unsere Unternehmen zu klein bleiben.
Daher müssen einige eine kritische Größe erreichen, und dafür müssen sie sich auf ihre Umsätze stützen können, sofern wir ihnen unser Vertrauen schenken. Kurzfristig spielen unsere Systemintegratoren eine Schlüsselrolle. Sie entwickeln relevante, gebündelte Angebote, die sie effizient implementieren und betreuen können.
Europa verfügt über ein innovatives, hochrangiges Cyber-Ökosystem, leistungsfähige Werkzeuge und einen anerkannten Talentpool. Was fehlt? Vertrauen, Aufträge, eine Mobilisierung, die der Herausforderung entspricht. Noch immer entscheiden sich unsere großen Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen zu oft für amerikanische Lösungen und bereichern diese, anstatt das Wachstum des europäischen Ökosystems zu fördern. Dieser Reflex schwächt unser industrielles Gefüge, bremst das Entstehen europäischer Champions und gefährdet unsere digitale Souveränität.
Wir verlangen keine Abkürzungen. Wir fordern ausgewogene Regeln. Und dass europäische Unternehmen, die gleichzeitig technologische Exzellenz, regulatorische Konformität und Souveränität verkörpern, auf die reale Unterstützung großer öffentlicher und privater Auftraggeber zählen können.
Digitale Souveränität verkörpert den Respekt vor europäischen Werten in einer unsicheren Welt, in der das Recht des Stärkeren allzu oft alle Lehren der blutigen Konflikte des vergangenen Jahrhunderts verdrängt. Sie geht über reine ökonomische Logik hinaus, sie ist eine Frage des gemeinsamen Schicksals der europäischen Nationen und genau hier bekommt das Wort Souveränität seine volle Bedeutung.
Dies umfasst mehrere Dimensionen:
ein ausschließlich europäischer Rechtsrahmen, insbesondere in Bezug auf Daten und künstliche Intelligenz,
eine klare Verankerung mit Hauptsitz und Leitung in Europa,
Transparenz über den Ursprung der eingesetzten Technologien,
sowie schließlich ein anspruchsvoller ethischer Rahmen, gestützt durch konkrete gesellschaftliche Verpflichtungen, insbesondere im Bereich CSR und Inklusion.
Wir rufen auf:
Europa verfügt über robuste, wirksame und engagierte Lösungen. Es ist an der Zeit, ihnen das Spielfeld zu geben, das sie verdienen.